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Soweit der Himmel reicht

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Soweit der Himmel reicht

„Soweit der Himmel reicht“ Predigt zu Jes 40, 26-31

Ein heller Schrei reißt Yussuf aus seinem unruhigen Schlaf. Lange hat er noch nicht geschlafen, aber jetzt ist er hellwach. In manchen Nächten kann er ganz gut darüber hinweg schlafen. Heute nicht. Irgendwer träumt hier  immer schlecht. Er kennt es selbst nur zu gut. Manchmal wenn er schläft hat er das Gefühl er ist wieder da draußen, dann spürt er das Schaukeln der Wellen und den Moment der durchdringenden Kälte, die ihm fast das Herz stehenlässt. Schweißgebadet wacht er dann auf.

Durch den Schein der Straßenlaterne fällt ein wenig Licht ins Zimmer. Es reflektiert auf dem metallenen Bettgestell und wirft einen langen Streifen an die Wand. An einer Stelle blättert die Tapete langsam ab. Oben schläft Kemal, der redet nicht viel. Sie kommen gut aus. Haben Glück nur zu zweit in einem Zimmer zu sein. In der Ecke ein Stuhl und ein Tisch und ein kleines Regal, das teilen sie sich. Sie haben nicht viel. Nicht mehr.

Er spürt wie ihn das Heimweh packt. Oft kommt es ganz unerwartet und überrollt ihn wie ein Welle, die er nicht hat kommen sehen. Eine Menge Erinnerungen werden dann angespült. Seine Mutter, wie sie in der Küche steht und ihm erklärt wie man richtige Falafel zubereitet. Männer müssen das auch lernen sagt sie immer und zieht dabei eine Augenbraue hoch, weil er sie nicht ernst nimmt. Er sieht seine Schwester, wie sie ihn stolz angrinst und dabei mit der Zunge ihren ersten Wackelzahn hin und her bewegt. Er kann die Stimmen von Nuri und Hassan hören, wie sie ihn zum Fussball spielen rausrufen.

Und dann sieht er wie all seine Erinnerungen verschwinden, wie das Wasser, wenn die Ebbe es holt.

Er hat das Gefühl keine Luft mehr zu bekommen. Er muss hier raus. 

Leise um Kemal nicht zu wecken schlüpft Yussuf in seine Schuhe, nimmt seine Jacke vom Stuhl. Leise schließt er die Tür hinter sich. Im Flur hört er ein Gewirr aus Stimmen, ruhig ist es hier nie. Wenn er nachdenken will, dann geht er immer raus. Er streift durch den Abend die Luft ist angenehm und klar. Der Himmel ist heute von Sternen übersät.

Als Kind hatte er immer Angst vor der Unendlichkeit des Himmels, als wenn sie ihn verschlingen könnte. Klein und unbedeutend kam er sich dagegen vor.  Mittlerweile blickt er gerne in die Sterne. Klein fühlt er sich immer noch, aber auch verbunden.

Vielleicht sehen sie, seine Familie, seine Freunde, wo sie auch gerade sind, denselben Himmel. Dann kann er wieder besser atmen. Dann kann er wieder hoffen.

 

Hebt eure Augen in die Höhe und seht. Wer hat all diese geschaffen?Er gibt dem Müden Kraft und Stärke genug dem Unvermögenden, dass sie laufen und nicht matt  werden, dass sie wandeln und nicht müde werden.

 

Heute ist unser Hochzeitstag denkt Else als sie morgens die Augen aufschlägt. Ein wohliges Gefühl fährt ihr durch den Körper. Der Bernhard wird sie bestimmt gleich zum Frühstück holen. Wenn er will, dann kann er ja sehr romantisch sein! Sie streckt sich nochmal, die alten Glieder brauchen morgens schon ein bisschen länger um in Schwung zu kommen. Sie streicht über die linke Bettseite, das Bettzeug unberührt und akkurat zusammengelegt. Niemand hat hier letzte Nacht gelegen, schon gar nicht Bernhard. Wie konnte sie das nur vergessen!

Sofort schießen ihr Tränen in die Augen. Das gute Gefühl vom Aufwachen ist in eine andere Zeit zurückgewichen. Auf einmal steht sie wieder auf dem kalten Zentralfriedhof. Regen durchdringt ihre Jacke. Um sie herum grau und grau. Die vertrauten Gesichter, die sie mitleidig anstarren, die Hände die sie schüttelt, das alles erscheint ihr wie gestern. Zehn Monate ist das jetzt schon her. Seitdem fühlt sich Else wie gefangen in einem Zwischenraum: zwischen ihrem Leben wie es vorher war, wie es bleiben sollte, und der entsetzlichen Leere, die jeden Tag versucht sie zu verschlingen. Sie dreht sich auf ihrem Kissen und schließt die Augen, versucht sich in den Schlaf zurück zu flüchten, aber das inzwischen tränenklamme Kissen hält sie davon ab. Mühsam steht sie auf und geht in die Küche. Sie fröstelt ein wenig, hat vergessen die Heizung anzulassen, wie es Bernhard immer gemacht hat. Sie kocht sich einen Kaffee und isst ihr letztes Brot. Trocken. Sie hat vergessen einzukaufen oder besser gesagt sie hat es einfach nicht geschafft. Unglaublich schwer fallen ihr diese alltäglichen Dinge mittlerweile. Früher hat sie all das geliebt, einkaufen, kochen, den Haushalt besorgen es ihr und ihrem Bernhard schön machen.

Sie schlurft in ihrem Morgenmantel in die Stube und dreht das Radio an. Geschichten von anderen Menschen lenken sie ganz gut von ihrer eigenen ab. Irgendwann nickt sie ein. Als sie aufwacht ist es bereits dunkel. Schade denkt sie, schlafen kann ich erst mal nicht. Wo sie sich sonst immer freut wenn der Abend kommt und ein Tag geschafft ist. Unruhig geht sie im Zimmer umher, halb acht zeigt die Uhr. Ihr Magen zieht sich zu einem unüberhörbarem Knurren zusammen. Es nützt nichts. Langsam zieht Else sich an und geht hinaus, einen Schirm für alle Fälle. Sie kann regen nicht ausstehen. Als sie den Supermarkt betritt ist sie überrascht wie viele Menschen um diese Zeit noch unterwegs sind. Auch auf dem Rückweg begegnen ihr viele Menschen. Ein wenig belebt durch den späten Ausflug nimmt sie den längeren Weg an der Nikolaikirche vorbei. Das versetzt ihr immer einen kleinen Stich. Hier haben sie geheiratet. Hier war auch die Trauerfeier vom Bernhard. Seitdem ist sie nicht mehr da gewesen. Von Gottes schützender Hand, wie es der liebe Pastor nach Bernhards Tod formuliert hat, hat sie auch nichts gemerkt. Überhaupt niemandes Hand war da. Else spürt ein Ziehen in der Brust und wendet sich schnell ab um weiterzugehen. Sie geht durch den Park und merkt, dass sie eine Pause braucht. Suchend blickt sie sich nach einer Bank um. Da vorne! Aber da sitzt schon jemand. Ein junger Mann. Sie zögert kurz, doch dann setzt sie sich mit ein wenig Abstand daneben. Schweigend sitzen sie nebeneinander und betrachten den Himmel.

„Geniale Erfindung, oder?“ sagt er leise zu ihr.  Irritiert schaut sie in seine Richtung. „Dass der Himmel so weit ist, dass man ihn überall sehen kann. Das muss sich doch irgendwer ausgedacht haben um uns zu zeigen, dass wir nicht alleine sind. Die vielen Sterne! Immer, wenn ich in den Himmel schaue und die vielen Sterne sehe, dann weiß ich meine Familie, ganz gleich wie weit sie jetzt weg sind. Sie blicken in den gleichen Himmel.“

Vielleicht stimmt das, denkt sie. Vielleicht leuchten die Sterne, damit sie sich hier unten nicht allein fühlen und vielleicht verbinden sie uns alle irgendwie miteinander und mit etwas Größerem? Vielleicht doch mit Gott?

Der Gedanke gefällt ihr.         Sie atmet einmal tief durch, braucht einen Moment um ihre Stimme zu finden. „Wollen sie etwas von meiner Schokolade?“ Dankend nimmt er sich etwas und reicht ihr die Tafel zurück. Freundlich sieht er aus und auch ein bisschen traurig.

Dann fragt sie ihn wo seine Familie ist und woher er kommt.

In dieser Nacht kann sie wirklich nicht schlafen, aber zum ersten Mal seit langem macht es ihr keine  Angst mehr.

Hebt eure Augen in die Höhe und seht. Wer hat all diese geschaffen?

Er gibt dem Müden Kraft und Stärke genug dem Unvermögenden, dass sie laufen und nicht matt  werden, dass sie wandeln und nicht müde werden.

Jule weiß nicht was sie tun soll. Das Ergebnis ist eindeutig.

Ihr Entschluss nicht. Die halbe Nacht hat sie jetzt schon wach gelegen. Das Beweisstück hat sie auf ihren Schreibtisch gelegt. Immer wieder geht ihr Blick dorthin zurück. Sie blickt sich in ihrem Zimmer um. 8m² Studentenwohnheim. Ein Bad, das kleiner ist als jede Abstellkammer. Ein hellgrauer Einbauschrank, nicht schön, aber praktisch, dazu ihr kleines Bett und der Schreibtisch. In der Ecke stapeln sich Bücher. Platz für ein Regal ist nicht mehr.  An der Wand Fotos: Matze, der vor zwei Tagen nach Barcelona gegangen ist. Für ein Jahr hat er gesagt, wenn es gut läuft für immer und ein: „Tut mir leid, sollte ja eh was lockeres sein, zwischen uns“, nachgeschoben. Daneben sie mit ihren Freunden, letztes Jahr im Schwedenurlaub. Sie waren zusammen Kanufahren und Wildcampen. Das Gefühl war großartig, sie hat sich unglaublich frei gefühlt. Das Leben war so einfach, einen Platz zum schlafen suchen, Feuerholz und irgendwas zu essen kochen aus dem, was die Vorräte so hergeben. Nachts saßen sie immer am Lagerfeuer unter dem Sternenhimmel und haben über ihr Leben und ihre Zukunft geredet. Sich erträumt was alles möglich wäre. Unter der Weite des Himmels schien kein Traum zu groß. Damals hatte sie das Gefühl: Ich kann alles machen, was ich mir erträume. Jetzt ist dieses Gefühl wie aus einer anderen Zeit. Sie geht zum Schreibtisch zurück. Die zwei Streifen auf dem Test sind immer noch da. Unerbittlich in hellrosa. 

Sie fühlt einen Kloß im Hals, kann kaum atmen, sie braucht frische Luft.

Sie nimmt ihre Jacke und geht raus in den Park. Die Nacht ist mild, irgendwo hört sie eine Gruppe lachen, der Dunst eines fast abgebrannten Grills dringt zu ihr hinüber. Ihr Magen hebt sich, kriegt sich aber zum Glück wieder ein. Jule geht an der Wiese vorbei  auf der sie letzte Woche noch mit Matze gesessen hat. Eine Träne stiehlt sich ihre Wange herab. Wie gern hätte sie ihn jetzt hier. Sie geht weiter auf eine Bank zu und setzt sich dort hin. Sie ist noch ganz in sich versunken, betrachtet den Himmel voller Sterne. Unendlich weit. Und er sieht noch genauso aus wie im letzten Sommer!

Vielleicht sind auch ihre Träume noch nicht ganz verschwunden. Vielleicht kann sie trotzdem Jule bleiben. Die Sterne leuchten ihr entgegen, so fühlt es sich jedenfalls an. Wie kleine Taschenlampen, hat sich Jule früher vorgestellt. Und dort wo eine Taschenlampe leuchtet, da muss es auch jemanden geben, der sie anmacht, oder?

Mit einem Mal wir ihr etwas leichter. Ein warmes Gefühl breitet sich in ihrem Körper aus. Sie fühlt sich nicht mehr so allein. Auf einmal hat sie das Gefühl, dass sie es irgendwie schaffen kann. Wahrscheinlich wird es nicht immer leicht, denkt sie, aber irgendwie wird es gehen.

Sie schreckt hoch als sie jemand am Ellbogen berührt.

„Wollen sie auch von der Schokolade?“ fragt sie eine ältere Frau, die neben ihr auf der Bank sitzt. Ein junger Mann daneben. Waren die schon die ganze Zeit da? Fragt sich Jule. Ein komisches Paar denkt sie weiter, denn die beiden passen überhaupt nicht zusammen, scheinen sich aber zu kennen. Zumindest essen sie zusammen. Jule schaut die beiden irritiert an, nickt aber und nimmt sich ein Stück.

Lange sitzen sie noch zu dritt zusammen auf der Bank.

Wie alte Bekannte.

Hebt eure Augen in die Höhe und seht. Wer hat all diese geschaffen?

Er gibt dem Müden Kraft und Stärke genug dem Unvermögenden, dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie wandeln und nicht müde werden.

Amen.


Katharina Fried

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